Ein Projekt angestoßen von HALLO: e.V. – Wir freuen uns über Alle, die mitmachen möchten, das Archiv ist nie abgeschlossen.
Das Archiv Bille Raum Archiv fasst Wissen, Praktiken, Methoden und Projekte in Bezug auf einen spezifischen Handlungsraum, den Raum rund um den Billebogen im Hamburger Osten zusammen. Dieser Stadtraum unterliegt ständigen Transformationen, einerseits durch das Handeln von Akteur:innen vor Ort, andererseits durch gezielte Stadtentwicklungsprojekte.
Der Bille Raum Archiv ist eine Plattform für System-, Handlungs- und Transformationswissen, welches gemeinsam durch Akteur*innen aus Universität, Behörden und Stadtgesellschaft, insbesondere den lokalen vor-Ort-Initiativen, erzeugt wird.
Ziel ist es, mit dem Archiv ein Werkzeug zur Verfügung zu stellen um eine Diskussion über Stadtplanung zu ermöglichen und die Akteur:innen in der Nachbarschaft sowie über den Raum Forschende zu ermächtigen, die aktuell stattfindende Stadtentwicklungspolitik zu diskutieren und zu beeinflussen. Zudem soll ein Einstieg in die vielfältigen Prozesse zivilgesellschaftlichen Handelns für interessierte Menschen begünstigt werden.
Das hier abrufbare Archiv entsteht und entwickelt sich auf der Idee aufbauend, dass Handeln, Arbeiten, Alltag und Leben im Stadtteil mindestens genauso wichtig für die Planung von Stadtteilentwicklung sind, wie ökonomische Perspektiven oder Infrastrukturplanungen entlang von GIS Datensätzen. Das Archiv versucht Aktionen, Gedanken, Fragen und Ideen aus der Nachbarschaft zu sammeln und die thematischen und aktivistischen Zusammensetzungen der vorhandenen menschlichen- und nicht-menschlichen Akteur:innen lesbar zu machen.
Die Erstellung dieses Archivs soll auch darauf hinweisen, dass jedes Archiv parteiisch und kommentierend und damit auch konstitutiv für Realitäten ist. Unseres ist unvollständig und wachsend. Genau wie alle anderen. Welche Informationen, Daten und Bilder zur Grundlage einer städtischer Entwicklung gemacht werden, ist immer eine unvollständige Auswahl, entlang derer sich Machtstrukturen, Planungsprozesse, Vergabeverfahren und Einflussnahmen entwickeln. Insofern ist es für uns sinnstiftend zu fragen: Wie kommen Planer:innen, Architekt:innen und politische Entscheidungsträger:innen zu den grundlegenden Informationen für Entwürfe und Stadtteil-Entwicklungskonzepte? Und auch: Welche blinden Stellen haben sie dabei? Was ignorieren sie? Und weshalb? Aus Zeitmangel, Desinteresse, Gegenposition oder weil es zu marginal scheint? Zusammengefasst: Für wen wird Stadt gestaltet und auf welcher Grundlage? Und wie kann ein Counter-Archiv unsere spezifische Position verdichten und verständlich machen?
Kommentierend, weil wir mit kritischer Perspektive die Veränderungen im Stadtteil beobachten und beschreiben wollen. Hammerbrook und Rothenburgsort sind Verhandlungsraum diverser Vorhaben. Stromaufwärts an Bille und Elbe, der Billebogen Entwicklungsatlas, die Planungen an der Hornerer Geest, sowie die Osterweiterung der HafenCity ziehen bereits Veränderungen nach sich und werden dies auch in Zukunft tun. Wir hoffen durch das Archivieren des Bestehenden einen kommentierenden Blick auf die Leerstellen und BlindSpots der laufenden Planungsverfahren zu erlauben. Hierin geht es uns eben nicht um Neutralität sondern einzigartige Standpunkte und lokales Expert:innenwissen.
Insofern ist das Archiv grundsätzlich parteiisch, weil es uns nicht darum geht, scheinbar neutral Daten, Bilder und Veranstaltungen zu sammeln und zu veröffentlchen, sondern wir hoffen den Stadtteil als einen lebendigen Ort abzubilden, als den wir ihn wahrnehmen, an dem sich Orte und Expert:innen für Kultur, Musik, Kunst, Sport, Pflanzenkunde, Stadtteilarbeit und so vieles mehr in fließenden Strukturen treffen, austauschen und vernetzen – deren Aktionismus und inbesondere den vorrangig gemeinwohlorienterten Charakter der Ansätze wir sehr schätzen und erhaltenswert halten.
Wir schauen deshalb kritisch auf einige der großmaßstäbliche Ansätze der Stadtplanung und wollen durch unsere Kommentare, Veranstaltungen und Initiativen deutlich machen: Der Stadtteil lebt schon! Seine Entwicklung muss gemeinsam mit den Vielen vor Ort gedacht werden!
Wir wollen also einige, unsere, spezifischen (wenn auch fließenden und nicht identischen) Perspektiven versammeln, die sich aus dem Stadtteil heraus artikulieren. Wir wollen beschreiben, dass die alltäglichen Praxen und Erfahrungen um uns herum wichtig sind und diesen Stadtteil ausmachen. Mit anderen gemeinsam sind wir auf der Suche nach einer diversen Stadt, die nicht Konsum, Eigentum oder 40-Stunden-Lohnarbeit im Zentrum hat, sondern eine Praxis, die versucht Räume zu öffnen, zu nutzen, gemeinsam zu gestalten und zu aktivieren. Wir sind gegen starre Eigentumsverhältnisse, Kameras und Zäune. Und für Aushandlung, Diskurs, Kennenlernen und Zugänglichkeit für möglichst viele Ungleiche auf Augenhöhe.
Indem wir archivieren und kritisch kommentieren, was um uns geschieht, ergreifen wir Partei für die Diversität im Stadtteil und eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung.
Die hier versammelten Praxen, Forschungsergebnisse, Veranstaltungen und Projekte sind Teil eines Aushandlungsprozesses und der Suche nach Narrativen der Vielfalt und fließender Übergänge.
Das kommentierende Archiv muss ein lebendiges und fließendes Archiv sein. Wir freuen uns daher über Menschen, die mitmachen möchten. Was veröffentlicht wird, wird gemeinsam diskutiert. Ein demokratisches Archiv wird von Vielstimmigkeit getragen.
Das Archiv sammelt konkrete gestalterische, planerische und künstlerische Praxen. Durch den Prozess des Archivierens werden diese dokumentiert und einerseits abrufbar gemacht, andererseits auch als Produktion betrachtet. Bei den hier gesammelten Prozessen im Hamburger Osten handelt es sich nicht um Zwischennutzungen, sondern um Nutzung. Der Begriff Zwischennutzung soll durch die Archivierung der Prozesse problematisiert werden. Die im Wissensraum Bille stattfindenden Tätigkeiten sind Planungen und Prozesse von gesellschaftlicher Aushandlung und alternativer Stadtentwicklung. Sie sind kein Zwischenschritt hin zu einer Stufe danach, sondern schon Ergebnis. Die Arbeit, die in diesen Räumen verrichtet wird, ist kein natürlicher Prozess, sondern es sind Menschen, die sich Zeit nehmen Stadt zu gestalten und gemeinsam etwas zu unternehmen. So ist auch der Prozess hin zum Archiv Teil des Archvis.
Seit 2021 kümmert sich eine kleine Gruppe um das Wachsen des Archivs. Diese versucht das vielfältige Schaffen, Arbeiten und Leben im Hamburger Osten so zu beschreiben, dass es den Grundlegenden Ideen einen Ausdruck verleiht ohne die internen Meinungsunterschiede und Konflikte zu stark zu tangieren. Motivation ist es eher die gemeinsamen Nenner einer Gemeinschaft der Vielen zu beschreiben. In der es darum geht gleichzeitig subversiv und nach Außen gewandt zu sein. Gleichzeitig eine eigene / Projekt-Agenda zu verfolgen und zuzuhören, was andere vorhaben – um möglichst gemeinsam und möglichst wenig gegeneinander das jeweils Eigene zu wollen und das Gemeinsame zu finden und stärken. Ob nun versucht wird, Konzerte zu organisieren, sich über die Natur in der Stadt, Esskultur oder Stadtpolitik auszutauschen oder ob maus generell dagegen ist, dass finanzielle Interessen das Leben der Menschen um eine:n herum bestimmen, soll als Ausdruck der Vielstimmigkeit gelesen werden. Was hält die Arbeit im Stadtteil zusammen? Worüber streiten wir, weil wir wissen, dass wir uns wenigstens noch zu verstehen versuchen? Und wo akzeptieren wir vermeintliche Blindspots von anderen, da sie auch unsere annehmen oder versuchen differenziert zu füllen?
HALLO: e.V. sammelt schon seit 2014 Material und noch länger Erfahrungen im Stadtteil. Viele unserer Freund:innen und Partner:innen sind schon viel länger hier. In ganz verschiedenen Momenten der Zusammenkunft wurden so über die Zeit Geschichten, Materialien, Strategien und Werkzeuge archiviert. Diese bilden die Basis des Archivs.
Das Archiv als Platform und Ort entwickelte sich aber erst so richtig ab dem Sommer 2018 und den gemeinsamen Lehr- und Forschungsveranstaltungen mit den Studiengängen Kultur der Metropole und Architektur und Landschaft, die an der HCU angesiedelt sind. In den folgenden Sommern kamen zahlreiche Studierende in den Stadtteil und sammelten, kartographierten, nahmen Soundsnippets auf, führten Interviews und entwarfen Ausstellungen. Ihre Methoden unter anderem DÉRIVE ! CAMP ! ZOOM ! TALK ! MAP ! ARCHIVE ! PERFORM !
Dieses Material wurde zum zweiten Zufluss, der das Archiv wachsen ließ.
Die Projekte PARKS und WERK, die sich hierauf aufbauend auch ab Sommer 2018 entwickelten, haben immer mehr gezeigt: Gemeinwohlarbeit hat im Stadtteil eine extreme Relevanz und es gibt so viele spannende, kreative und motivierte Köpfe im Stadtteil, dass es sich lohnt, die Geschichten zu sammeln und gemeinsam zu kommentieren, zu archivieren und ein Narrativ zu finden, auf dessen Basis wir noch besser für unsere Vorstellungen von Stadt argumentieren können.
Seit September 2019 war es über zwei Projektförderungen möglich, das Archiv strukturierter zu entwerfen und zu versuchen, einzelne inhaltliche und konzeptionelle Stränge zusammen zu führen. In Workshops und kleinen Redaktionstreffen entstand eine Online Plattform, die einerseits Forschung und Lehre und andererseits Praxen und Alltag aus dem Stadtteil sammelt und seitdem wächst.
Im Mai 2021 wurde der erste Stand des Archivs im Rahmen der HALLO: Radiospiele Edition 3 zum ersten Mal veröffentlicht.
Vermutlich viele parallele. Wenn auch auf den ersten Blick eine eher soziales und eher weiches Bündel an Methoden. Es gab Workshops, in denen sich solche Fragen verdichten konnten. Bunte Zettel an Pinnwänden gab es auch. Und Redaktionstreffen, Stuhlkreise, Wireframes, Abstimmungsrunden mit Coder:innen. Aber viel mehr noch war die kulturelle Arbeit verschiedener Gruppen ebenso wie Treffen und Gespräche, die von vielen Seiten initiiert wurden, ausschlaggebend für die Ausrichtung des Archivs.
Ebenso ermöglichten die Projektförderungen einigen Menschen, die zuvor und danach unbezahlt am Archiv arbeiten/arbeiteten, sich intensiver mit Konzeption der Plattform, der Texte, der Lehrformate und der Orga-Struktur hinter dem Archiv zu befassen und haben dessen Charakter geprägt. Immer im Versuch mit anderen Mitwirkenden im Gespräch zu bleiben, weitere Akteur:innen einzuladen teilzuhaben, beizutragen, mitzumachen, Impulse zu setzen oder dagegen zu sein. Methodisch wirkt zum jetzigen Zeitpunkt vor allem das Offene, das auf der Suche nach Synergien nicht zum Punkt kommenden, das Wachsende. Ein Archiv wie ein Waldboden, der sich selbst verdaut, Stoffkreisläufe reguliert und den Schatten wirft, der auch Dinge im Dunkeln versteckt und dort wachsen lässt. Produktive Schatten.
Gegen eine normierende Stadt! Gegen eine Stadt, in der Eigentum ausgrenzt! Gegen eine anonyme Stadt! Gegen eine Stadt der Konsumierenden! Gegen eine bis ins letzte Detail durchgeplante Stadt! Gegen eine Abriss- und Investment-Stadt.
Die Methoden sind Protokolle des Werdens. Und Modelle des beschreibenden Machens.